Das Phantastische zieht an, es entzieht sich dem realistischen Blick, da es allein schon vom Formalen her eigene Wege geht, die sich der Vorstellung des Wirklichen entziehen. "Alles ist voll von Dämonen", so sprachen die Vorsokratiker und sahen selbst im Apeiron kleine lebendige Teilchen, die sich der Sicht entziehen, nichts desto wenig aber erlebbar sind. Die Darstellung des Phantastischen macht Wesen sichtbar, die für das menschliche Auge unsichtbar sind, doch zum Erfahrungshorizont des Menschen gehören. Das Dämonische sei in der Luft da, so sie- ht es auch der Mensch des Mittelalters. Der Dämon kann nur durch den Blick auf den Dämon gebannt werden. So schauen aus den Köpfen der Konsol- und Schlusssteine mittelalterlicher Kirchen Masken entgegen, die nicht nur ihrer selbst willen da sind, sondern im Gegenüber eine Entsprechung suchen. Das Apotropäum hat die Aufgabe, das Böse vom heiligen Raum fern zu halten. Wasserspeier und Turmskulpturen nehmen Formen an, die das Ani- malische mit dem Phantastischen verbinden. Die unbekannte Welt des Mittelalters ist groß und in der Vorstellung ohne Grenzen. Auch die entfernten Völker der Erde hatten auf den antiken Weltkar- ten unwirkliche Formen angenommen, die sich der regulären Schöpfung entziehen, sie sind weder Mensch noch Tier, sondern Mischwesen, haben Teile beider Kreaturen und sind als solche das Geschöpf der unversiegbaren Vorstellungslust des Menschen. Die Apsismalerei in St. Jakob in Kastellatz bei Tra- min nimmt davon Notiz, doch in den Einzelfiguren merkwürdiger Randexistenzen haben sich zahllo- se Beispiele bewahrt, die nur auf eine Entdeckung warten. Unübersehbar sind die Monster an den Portalen von Schloss Tirol, an den Kapitellen der Biforien im Palas. Auch hier sind es Mischwesen, mitunter Ma- sken, menschliche Köpfe also, die an unwichtigen Orten sitzen und allein durch ihre bildliche Präsenz die Botschaft der Allbeseeltheit vermitteln. Die mit- telalterliche Bauplastik bezieht das plastische, dreidi- mensionale Bild des Phantastischen mit ein. Aus den Köpfen sprießen nicht selten Blätter und Ranken, Sinnbilder der Rede, der üblen zumeist.
Meran, Schloss Tirol
Das Phanta- stische wird somit selbst zur Metapher eines Dialogs und einer konkreten Ansprache an den Menschen. Auch an den Bauten der Gotik lassen sich seltsame Wesen finden. Massimo Monopoli ist vielen Spuren gefolgt und hat bisher ungesehene Details einge- holt, die nun beispielsweise die Stadtpfarrkirche von Bozen auch in einem neuen Licht sehen lassen, aus dem Blickwinkel des Mysteriösen und Uneindeuti- gem. Meist sind die seltsamen Wesen in Ecken plat- ziert, in denen sie nur nach aufmerksamer Suche en- tdeckt werden können. Das steinerne Bild selbst des Abstrusen ist Bestandteil himmlischer Ordnung. So hat auch das Böse und Ungeordnete seinen Platz am Sakralen. Seine Existenz ist durch die Präsenz des Heiligen nicht aufgehoben, nur die Wertigkeiten sind verschoben, in dem Sinn, als sich das Apotropäum dem Heiligen unterordnet.
Ist der Bau ein Sinnbild für den Himmel, so nisten darin genauso die Fratzen des Bösen. Das heilige Bild ist allein dem Innenraum vorbehalten, dort wird es auch nicht vom Vorhan- densein von Masken gestört.
Trento / Torre Conci
Vor allem sind es Eingänge, an denen apotropäische Zeichen aufscheinen. Die Baukunst der Gotik verwen- det auch gerne die Konsole als Bildort geisterabweh- render Gesichter. In der Deutung kann unterschie- dlich argumentiert werden: Sind sie nun bei einer negativen Konnotation Zeichen der Todsünden? Oder sind sie, Atlanten vergleichbar, im Dienst des Höhe- ren, ausgestattet mit der Aufgabe, den Bau zu tragen und zu halten. Vor allem im Bozner Raum trifft man auf zahlreiche Beispiele, in denen die alte Kultur der Sichtbarmachung des antropomorphen Bösen tradiert wird. Kirchen aus Seis und Völs sind in der Bilderfolge präsent. Die Blattmasken im Langhaus der Stadtpfar- rkirche von Meran entstammen der Parler-Tradition.
In der Neuzeit wird die Maske zum schrillen Dekor an Torbögen und Fassaden. Schon im Manierismus war es Mode geworden, die geordnete Baukunst der Renaissance durch Masken zu stören. Wer einmal den Parco dei mostri bei Viterbo gesehen hat, weiß von der Lust des spielerischen Umgangs mit Kobol- den und überraschenden Einblicken. Alles läuft aus dem Lot, es gibt keine Gesetzmäßigkeit mehr. Die neuzeitlichen Beispiele in Südtirol können sich nicht mit der Anzahl der als „Kunst am Bau“ applizierten Masken im Trentino messen. Die Maske verkommt zum Baudekor, behauptet sich aber als quasitheatra- lisches Element in einer doch rationalistischen, den Gesetzen der Proportion gehorchenden Architektur. Was mit dem Manierismus entwicklungsgeschicht- lich grundgelegt wurde, findet sich dann als Reflex gelegentlich im Barock. Die Maske als psychologi- sierender Ausdruck von Auftraggebern und Bewo- hnern, oft auch als abwehrende Fratze einer sich behauptenden, ungebetene Besucher ausschließen- den Architektur. Bezeichnend ist die verschwinden- de Grenze zwischen den Ornament und dem darin sich verbergenden anthropomorphen Anspielungen, so dass geradezu von einer Anthropologisierung des Dekors die Rede sein kann. Der Mensch in seinen Abgründen wird zum ästhetisierten Objekt. Am Bei- spiel des Mumelterhauses in den Bozner Lauben fin- det sich die gesichtsführende Blattmaske selbst noch im 19. Jahrhundert.
Leo Andergassen